
Vereinstalk #28: Paralympics-Teilnehmerin Johanna Recktenwald über Leistungssport und Inklusion
2016 stand die Marpingerin Johanna Recktenwald zum ersten Mal auf Langlaufski. Sechs Jahre später ist sie Teil der Nationalmannschaft und die erste Saarländische Teilnehmerin bei Paralympischen Winterspielen. Das alles mit gerade einmal 2% Sehkraft. Wir haben mit der 21-jährigen über ihren Werdegang gesprochen und sie gefragt, was sie sich von Sportvereinen bezüglich Inklusion wünschen würde.
Hallo Johanna. Erst einmal danke, dass du dir die Zeit für uns nimmst. Bitte stelle dich unseren Lesern kurz vor: Wer bist du und was machst du?
Ich bin Johanna Recktenwald, ich bin 21 Jahre alt und komme aus Marpingen, wohne und trainiere aber mittlerweile in Freiburg am Bundesstützpunkt. Dort bin ich im Para Ski Nordisch (Biathlon und Skilanglauf) aktiv und habe dieses Jahr in der Startklasse der Sehbehinderten an den Paralympics teilgenommen.
Wie bist du zum Biathlonsport gekommen?
Zum Biathlon bin ich über ein inklusives Langlaufteam in einer Schul-AG gekommen, die sich für Jugend trainiert für Paralympics vorbereitet hat. Da hab ich dann auch am Bundesfinale teilgenommen, hab dort dann auch ein paar Kontakte knüpfen können und dachte dann, ich schau mir auch mal das Biathlon an.
Als Saarländerin kommst du ja nicht aus einer klassischen Wintersportregion. Wo und wie trainierst du dort Biathlon?
Im Saarland ist mein Heimatverein das Biathlon-Team-Saarland. Im Sommer bzw. wenn kein Schnee liegt, trainieren wird dort auf Skirollern, die das Skilanglaufen imitieren. Man hat dort theoretisch die gleiche Ausrüstung wie im Winter mit Schuhen und Stöcken, hat halt nur anstelle der Skier die Skiroller an den Füßen und kann damit auf Asphalt fahren.
Wie funktioniert Biathlon mit Sehbehinderung?
Beim Langlaufen auf der Loipe läuft ein Guide vor mir her. Der hat ein Mikrofon und einen Lautsprecher und sagt mir darüber Anstiege, Abfahrten und vor allem Kurven an. Bei schwierigeren Abfahrten reicht er mir seinen Stock an, damit wir diese sozusagen gemeinsam herunterfahren können. Beim Schießen werde ich von meinem Guide an den Schießstand gebracht, wo dann schon die Waffe bereit liegt. Wir schießen nach Gehör. Das heißt wir setzen beim Schießen einen Kopfhörer auf und haben einen Signalton, der sich in Höhe und Frequenz ändert, je näher man ans Ziel kommt. Der Ton lässt sich so ein wenig mit dem Piepton beim Parkassistenten beim Auto vergleichen. Nur dass man bei uns beim Schießen eben den höchsten Ton suchen und dann abdrücken muss.
Was war dein schönster Moment im Sport?
Es ist immer schwer, einen schönsten Moment herauszufiltern, aber ein Moment, der total emotional war, war die Eröffnungsfeier von meinen ersten Paralympischen Spielen dieses Jahr in Peking. Einfach dieses Einlaufen in dieses riesengroße Stadion war schon sehr besonders und das würde ich auf jeden Fall zu meinen schönsten Momenten im Sport zählen.
Hast du Tipps, wie man es schafft, sich vor Wettkämpfen zu motivieren und zu fokussieren?
Ich finde, generell sollte man zur Motivation ein Ziel vor Augen haben und sich immer wieder bewusst machen, wofür man das Ganze macht. Unmittelbar vor dem Wettkampf probiere ich mich eher innerlich etwas zu entspannen und gedanklich nochmal den Wettkampf durchzugehen, also die Strecke im Kopf abzulaufen und sogar das Schießen zu simulieren. Dadurch habe ich dann quasi mental den Wettkampf schon mal gemacht und muss das dann im Wettkampf “nur noch” genauso nachlaufen.
Was würdest du dir von Sportvereinen bezüglich Inklusion wünschen?
Generell einfach eine stärkere Offenheit von Vereinen, Trainern und Sportlern gegenüber Menschen mit Behinderung. Dass es im besten Fall gar nichts Besonderes ist, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher mit einer Behinderung in einen Sportverein kommt. Denn oft sind die größten Barrieren gar nicht real vorhanden, sondern nur in den Köpfen der Menschen, die oft erstmal starke Berührungsängste gegenüber Menschen mit Behinderung haben. Dadurch wird oft extrem unterschätzt, was man mit Sportlern mit Behinderung eigentlich alles machen kann. Wenn man da einfach offener auf die Sportler und ihre Wünsche eingehen würde, wäre Inklusion glaub ich sehr einfach umsetzbar.
Auf welche Hürden oder Probleme bist du in deinem Sport gestoßen? Wie bist du damit umgegangen?
Als Leistungssportlerin ist für mich die größte Herausforderung, die Saison über fit und gesund zu bleiben und sich bei Verletzungen oder Krankheiten entsprechend auszukurieren. Auf meine Behinderung bezogen ist wohl die größte Herausforderung, immer jemanden zu haben, der einen im Training begleitet oder zu Trainings und Wettkämpfen fährt. Da habe ich aber zum Glück durch Familie, Freunde und Vereinskollegen eigentlich nie größere Probleme gehabt. Ich weiß allerdings auch, dass das nicht selbstverständlich ist und bin da auch sehr dankbar für.
Was sind deine Ziele für die Zukunft?
Obwohl ich in diesem Jahr schon bei den Paralympics war, bin ich ja noch recht "jung" in meiner Sportart. Daher ist für mich das Ziel, in erster Linie weiter Erfahrung und Schneekilometer zu sammeln und mich immer weiter zu verbessern und natürlich Spaß dabei zu haben. Ansonsten ist natürlich das nächste große Ziel die Teilnahme an den nächsten Paralympischen Winterspielen 2026 in Cortina und bis dahin möchte ich natürlich möglichst verletzungsfrei bleiben und mich Stück für Stück weiter im Weltcup beweisen.
Vielen Dank für deine Zeit und viel Erfolg auf deinem weiteren sportlichen Weg!
Vereinstalk, Wintersport, Parasport