
Mathe und Fußball: 2b4kids verbindet Lernen mit Sport
Stephanie Müller hätte nach der Geburt ihres dritten Kindes in ihren gut dotierten “Job, der einem Lottogewinn glich”, zurückkehren können, so die Badische Zeitung. Sie entschied sich anders. Zunächst hat sie über ehrenamtliches Engagement als Gesamtelternbeirat der Rheinfelder Schulen das Thema Bildung unterstützt. Mit einem runden Tisch zum Digitalpakt und einem Mini-Schulgipfel, der gemeinsam mit der Rheinfelder Verwaltung organisiert wurde, konnte Sie einen Teil dazu beitragen, dass alle Akteure, die verschiedenen Perspektiven und Bedürfnisse beim Thema Digitalisierung an Schulen besser verstehen. Während Corona ist sie dann auf das Thema „Bewegtes Lernen, unterstützt durch digitale Möglichkeiten“ aufmerksam geworden.
Zweieinhalb Jahre danach hat sie mit Swen Heinemann aus Kirchzarten die 2b4kids gUG (haftungsbeschränkt) gegründet. 2b4kids steht einerseits für zwei*B (Bildung und Bewegung) für Kinder sowie „für Kinder da sein“. Die Organisation mit gemeinnützigem Auftrag soll Kinder durch Sport zum Lernen und beim Lernen in Bewegung bringen. Wie das genau funktioniert und welche großen Ziele die 43-jährige Stephanie Müller verfolgt, darüber haben wir mit der Rheinfelderin gesprochen.
Hallo Frau Müller, bitte stellen Sie sich unseren Leser*innen kurz vor: Wer sind Sie und was machen Sie, wenn Sie nicht gerade das Lernen revolutionieren?
Hallo Herr Hausen, Ich bin eine verheiratete Mama von drei wundervollen Kindern, die einen Teil des Glücks, das sie bis jetzt von vielen Leuten erfahren durfte, weitergeben möchte. Aufgewachsen und groß geworden in einer Vereinsfamilie, die sich seit Jahrzehnten im Fußball engagiert, habe ich früh die Bedeutung von gesellschaftlichem Engagement erfahren. Mein Vater, Karl-Frieder Sütterlin, hat maßgeblich den Kinder- und Jugendfußball in unserer Region geprägt. Ich möchte das Thema weiter voranbringen, indem ich es um die Dimension Bildung ergänze. Fußball bzw. Sport hat noch so viel ungenutztes Potential. Nebenbei bin ich im Kleingewerbe als Jobcoach tätig. Ich greife Menschen, die mit dem Bewerbungsprozess nicht so viel am Hut haben, unter die Arme. Zudem setze ich niederschwellige und jugendzentrierte Projekte im Bereich der Berufsorientierung um. In meiner Freizeit bin ich mit meinen Kindern gerne in der Natur, trainiere die Bambinis des JFV Region Rheinfelden und kümmere mich um unsere Tiere.
Wie und wann kamen Sie auf die Idee, ihren Job an den Nagel zu hängen und Bildung und Bewegung zu verbinden?
Ich war schon immer ehrenamtlich in den Bereichen Bildung und Bewegung unterwegs. In meinem privaten Umfeld habe ich jungen Menschen bei Ihrem Eintritt ins Berufsleben unter die Arme gegriffen und seit 2018 organisiere das jährliche Fußballcamp beim SV Eichsel 1980 e.V. Das macht mir sehr viel Freude. So viel Freude, dass ich da mehr Zeit investieren wollte. Als ich mit meinen 3.Kind schwanger war, war klar: Jetzt oder nie. Dann habe ich die Kündigung eingereicht und meine Selbstständigkeit im Bereich Jobcoaching und freiberufliche Projektmitarbeiterin geplant. Da ich so mehr Zeit zu Hause hatte und Corona uns ans Haus gebunden hat, konnte ich beobachten, welche krasse Speicherleistung mein ältester Sohn Levi, damals 8 Jahre, auf seiner „Festplatte“ hat, wenn er Fußball spielt. Dann bin ich bei der Internetrecherche auf den „Footbonauten“ (ein Trainingsgerät für Fußballer) gestoßen. Sofort kam der Gedanke: „Von diesem Ansatz können wir was Brauchbares für Kinder und das Thema Lernen ableiten!“
Die Idee, Lernen mit Sport zu kombinieren, ist ja keine gänzlich unbekannte. Warum werden Sport und andere Fächer in der Schule dennoch meist strikt getrennt?
Es gibt ja bereits einige Ansätze, wo Sport und Lernen in der Schule kombiniert werden. Diese sind jedoch meist analog. Analog finde ich persönlich zwar super, jedoch ist analog nicht niederschwellig, nicht einfach und nicht massentauglich. Bei der analogen Kombination braucht es viel Kreativität. Diese kostet Zeit, was in der Schule ja bekanntermaßen eher Mangelware ist. Zudem ist bei der analogen Variante die sinnvolle Einbindung aller Schüler und Schülerinnen eingeschränkt. Ein Mathelehrer kann zum Beispiel die Kinder draußen dazu anhalten, dass sie sich in 4er Gruppen Bälle zuwerfen und dabei Aufgaben rechnen. Er kann aber immer nur eine Gruppe dabei betreuen, im Sinne von: Sind die Aufgaben sinnig, werden sie richtig gelöst, und so weiter.
Welche Vorteile hätte es denn, beide Welten – also Bewegung und Bildung – zusammenzubringen?
Da gibt es sehr viele Vorteile. Lassen Sie mich drei aufführen:
1) Sportbegeisterte Kinder, die bildungsfern sind, können einen besseren Zugang zum Thema Bildung erhalten.
2) Lernbegeisterte Kinder, die sich nicht gerne bewegen, können einen besseren Zugang zum Thema Bewegung erhalten.
3) Ungleichgewichte in den beiden Themen (welche oftmals zu Ausgrenzung oder Demotivation führen) können durch die Kombination abgeschwächt oder eliminiert werden und das Gefühl der Gemeinschaft kann steigen.
Dabei nutzen wir das Interesse der Kinder an einem Thema sowie die Tatsache, dass viele Kinder beim Anblick von digitalen Medien gepaart mit Gamification leuchtende Augen bekommen, um sie spielerisch und fast schon unbemerkt mit Freude und Motivation an das andere Thema heranzuführen.
Das klingt überzeugend und müsste ja auch außerhalb der Schule, zum Beispiel im Elternhaus, Anklang finden. Dennoch sitzen vermutlich die meisten Kinder am Küchen- oder Schreibtisch, um Hausaufgaben zu machen und zu lernen. Wie wollen Sie vorgehen, um das zu ändern?
Ich glaube nicht, dass wir mit unserem Ansatz komplett die Lernzeit am Küchentisch ersetzen. Das geht gar nicht. Jedoch zielen wir zum einen darauf ab, dass die Kinder, die digital unterstützte Kombination aus Bildung und Bewegung, die sie in der Schule oder im Sportverein lernen, für sich selbst analog, idealerweise mit Freunden, weiterführen. Gleichzeitig wollen wir aber auch Systeme anbieten, wo die Kinder individualisiert ihre ganz eigenen Lerninhalte üben. Dazu haben wir auch schon konkrete Ideen. Für diese brauchen wir aber noch weitere Partner. Jetzt starten wir zunächst mit dem teamorientierten Piloten „Mathe & Fußball“.
Und in der Schule selbst – wie können da Bewegung und Bildung verbunden werden?
Im Klassenzimmer oder auf dem Pausenhof wird es die Möglichkeit geben, im Fachunterricht Inhalte in der Bewegung zu vermitteln oder zu üben. Das Gleiche gilt für den Sportunterricht in der Turnhalle oder dem Sportplatz. Dabei nimmt der digitale Part dem Lehrpersonal all die inhaltlichen und medialen Dinge ab, die durch die Kombination kompliziert sind. Zum Beispiel die Aufgabenstellung, die Überprüfung der Lösung, die Zusammenführung und Darstellung der Ergebnisse und vieles mehr. Gleichzeitig unterstützt der digitale Part die Aufmerksamkeit und Motivation der Kinder.
Aber verbringen Kinder und Jugendliche dann am Ende nicht zu viel Zeit am Bildschirm? Schließlich empfiehlt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zum Beispiel für Zehn- bis Zwölfjährige nicht mehr als eine Stunde Bildschirmzeit pro Tag beziehungsweise sieben Stunden pro Woche.
Da bin ich voll bei Ihnen. Die Bildschirmzeit ist bei vielen Kindern zu hoch. Mit unserem Ansatz bekommen die Kinder aber auch keine digitalen Endgeräte mit Bildschirmen an die Hand. Die Bildschirme (pro Gruppe gibt es nur einen großen Bildschirm) sind lediglich dazu da, um die Aufgabe, die in der Bewegung gelöst werden soll, anzuzeigen. Ebenfalls wird auf dem Bildschirm der Fortschritt angezeigt, beispielsweise wie viele Punkte hat welches Team durch die richtige Lösung der Aufgaben bereits gesammelt. Sie dienen folglich lediglich als Mittel zum Zweck.
Wie sieht denn der weitere Fahrplan von 2b4kids aus? Wo, wie und wann testen Sie Ihre Ideen in der Praxis?
Von April bis Juli planen wir die Phase 1 des Piloten. Dabei kooperieren wir mit dem JFV Region Rheinfelden (Jugend-Förderverein) und der Hellbergschule in Lörrach-Brombach. Sprich wir testen auf dem Fußballplatz und im Klassenzimmer, dem Pausenhof und der Schulsporthalle. Des Weiteren kooperieren wir mit der GbR „Eco-Prävi-Kids - Effektives Coping bei stressbelasteten Kindern in klinisch-therapeutischen Bereichen“. Hierbei werden wir in einer Kurklinik in Mitteldeutschland testen. Ab September startet dann die Phase 2 des Piloten, wo wir bereits weitere Kooperationspartner gewonnen haben beziehungsweise aktuell in Gesprächen für Kooperationsvereinbarungen sind.
Werden die Projekte auch wissenschaftlich begleitet?
Ja und zwar bei der Kooperation mit der GbR „Eco-Prävi-Kids - Effektives Coping bei stressbelasteten Kindern in klinisch-therapeutischen Bereichen“. Hierbei wird die Forschungsfrage gestellt: „Welche Parameter können bei der Planung und Durchführung einer Präventionsmaßnahme zur Stressbewältigung bei Kindern in therapeutischer Maßnahme standardisiert werden, die die Qualität personenunabhängig sowie nachhaltig effektiv steigert?“ Dies erfolgt in Kooperation mit der Kurklinik UNIVITA- Gut Holmecke und der Universität Siegen. Parallel sind wir auf der Suche nach weiterer wissenschaftlicher Begleitung.
Wie finanzieren Sie Ihre Arbeit und wo finden Interessierte weitere Informationen?
Die Arbeit von Swen und mir erfolgt momentan noch komplett pro bono. Das wird auch noch eine Weile so sein. Für den Piloten, für den wir vor allem Geld für die Hard- und Software benötigen, beantragen wir derzeit finanzielle Unterstützungen bei Stiftungen oder bei verschiedensten Projektförderungen. Zudem sammeln wir Spenden von Unternehmen und Privatpersonen ein. Dafür haben wir auch ein Onlinespenden-Tool angelegt, mit dem die Spende mit wenigen Klicks realisiert werden kann. Da wir gemeinnützig sind, stellen wir bei Bedarf auch gerne einen Spendenbescheid aus.
Unterstützt werden wir auch von ganz tollen Botschaftern. Besonders stolz sind wir, dass uns die Familie Eckel, insbesondere Dagmar Eckel, die Tochter von Horst Eckel (Weltmeister von 1954), unterstützt.
Wagen wir noch einen Ausblick in die Zukunft: Sie haben Kinder und Jugendliche durch Bewegung zum Lernen gebracht und umgekehrt. Wie geht es danach weiter?
Wenn wir die Kinder alle abgeholt haben, werden wir unseren Ansatz dem älteren Anteil der Gesellschaft in veränderter Version anbieten. Wenn wir die ältere Generation abgeholt haben, werden wir uns den arbeitenden Erwachsenen widmen. Diese verbringen oftmals einen großen Anteil Ihrer Weiterbildungszeit sitzend.
Frau Müller, wir danken Ihnen vielmals für Ihre Zeit und wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Mission!