
Vereinstalk #9: Wie Vereine junge Leute fit für die Zukunft machen könn(t)en
Wer sich für Amateurfußball interessiert, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit schon mal über den Namen Gerd Thomas gestolpert. Der Erste Vorsitzende des FC Internationale Berlin 1980 e.V. stößt immer wieder Diskurse an, nicht zuletzt als Hartplatzhelden-Kolumnist. Wir haben mit ihm über seinen Verein und eine besondere Idee gesprochen ...
Hallo Gerd. Wir möchten mit dir über eine Idee sprechen, die du in einem Gastbeitrag skizziert hast. Bevor wir dazu kommen, lass uns aber kurz über dich und „deinen“ Verein sprechen: Seit wann bist du beim FC Internationale Berlin aktiv und wie bis du zu deinem Amt gekommen?
Ich bin seit 2003 beim FC Internationale, war Jugendtrainer und im Vorstand zunächst für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. In der Folge war ich Jugendleiter, 2. Vorsitzender und nun seit vier Jahren 1. Vorsitzender.
Treibst du selbst Sport? Falls ja: In welcher Sportart bist du zuhause?
Ich spiele immer noch Fußball in der Ü60 und zwar da, wo der Trainer mich hinstellt. Manchmal im Tor, sofern die Schulter es mitmacht, meistens in der Abwehr, aber auch mal im Mittelfeld, in Ausnahmefällen sogar vorne. Wir spielen ja nur noch auf dem Kleinfeld, da ist es überschaubar. Tatsächlich durfte ich mit 58 schon an einigen Spielen der Ü60 teilnehmen und kann mich daher amtierender Berliner Meister nennen. Dank der Pandemie seit fast drei Jahren, wie wir immer wieder gern betonen.
Kannst du uns ein bisschen was über den FC Internationale Berlin erzählen? Wie viele Mitglieder habt ihr, welche Abteilungen und Angebote gibt es und was macht den Verein einzigartig?
Wir wurden 1980 gegründet, das ist eine lange Geschichte. Der Antrieb war der reine Amateurfußball, denn bezahlten Breitensport gab es ja schon immer, Streit ums Geld sowieso, manchmal sogar in der Kabine oder auf dem Platz. Daher wundert mich auch die momentane Aufregung um die ARD-Doku. Das ist doch nichts Neues, was die Sache nicht besser macht. Spöttisch könnte man sagen: Gut für uns, denn sonst wäre der Verein vielleicht nie gegründet worden.
Politisiert wurde der Verein dann ausgerechnet vom damaligen Verband für Ballsportspiele Berlin (VBB), residierend in der Frontstadt West-Berlin. Die Funktionäre waren schon damals recht humorlos, auch da hat sich wenig geändert. Man wollte das hintere “E” in Internationale verbieten, weil das „einen kommunistischen Beiklang“ hätte!!! Die selbstbewussten Vereinsgründer haben das dann ausgefochten, das “E” blieb schließlich stehen, der Verband musste kleinbeigeben. Ganz grotesk wurde es, als der Verband das Friedensturnier zu Ostern verbieten wollte. Der recht trickreiche Geschäftsführer tönte gar: „Der Weg zum Frieden kann nicht über den Sportplatz führen!“ Er stand wohl noch unter dem Eindruck der WM 1978, als der DFB im Land der argentinischen Militärdiktatur sogar einen Jagdflieger des 2. Weltkriegs empfing.
Wir spielen im Wettbewerb ausschließlich Fußball, es gibt zudem eine Seniorensportgruppe und den legendären Club Voltaire, der sich mit historischen und Fragen der Zeit beschäftigt. Mit Stand 31.12.2021 hatten wir 1263 Mitglieder, was trotz Pandemie ein Rekord ist. Wir könnten noch viel mehr Leute aufnehmen, aber es fehlen Coaches und nicht zuletzt Plätze. Leider ist man in der Berliner Politik meist mehr Bittsteller als geachteter Partner der Stadtgesellschaft. Ich halte das für einen Standortnachteil. Mal ehrlich: Müssen wir uns dafür entschuldigen, dass der Zulauf so groß ist? Rund 800 Mitglieder sind unter 25 Jahre alt. Wer also Fachkräfte für die Zukunft sucht, sollte mit uns kooperieren.
Was den Verein besonders macht? Oh, das ist so vieles. Die DNA von Inter ist in meinen Augen vor allem mit Offenheit, Streitbarkeit, Innovationsfreude, Mut, Gemeinschaft und Vielfalt in jeglicher Form zu beschreiben. Die von uns propagierten Themen wie Nachhaltigkeit, Antirassismus, Teilhabe oder auch Internationales sind Auswirkungen davon. Aber im Mittelpunkt steht natürlich der Sport. Und wie alle möchten wir jedes Spiel gewinnen. Für mich ist das Besondere, dass wir eigentlich nichts niedergeschrieben haben, es aber einen unausgesprochenen Konsens zu geben scheint, wie wir respektvoll miteinander umgehen. Das klappt mit wenigen Ausnahmen ziemlich gut.
Wow, 800 junge Mitglieder – das ist eine beeindruckende Zahl. Und eine gute Überleitung zum Anlass unseres Gesprächs: In einem Gastbeitrag für die Berliner B. Z. hast du geschrieben:
Warum stellt man uns nicht ausgebildete Sozialarbeiter, um die Trainer zu unterstützen? Es wäre gut angelegtes Geld. Jeder Spieler, den wir dem Sport erhalten, verursacht weniger Krankheitskosten, lernt nötige Sozialkompetenzen, besteht so besser im Arbeitsmarkt und entlastet unsere Sozialkassen. Die Vermittlung der so wichtigen „Soft Skills“ allein ehrenamtlichen Coaches zu überlassen, wird nicht funktionieren.
Wie bist du auf diese Idee gekommen?
Man muss doch nur auf den Platz gehen und sich Spiele oder Training ansehen. Da sind oft über 60 Leute gleichzeitig, da ist so viel Potenzial, das wir aber nur zum Teil abrufen können. Alle rufen nach Fachkräften, Teamgeist, Respekt, Prävention, Integration/Inklusion (ich nenne das lieber Teilhabe), und niemand kommt auf die Idee, dass diese Dinge in einem Fußballverein vielleicht am besten vermittelt und erreicht werden können. Nur geht das nicht zum Nulltarif! Niemand sollte ernsthaft glauben, wir könnten das alles so nebenbei beim Training mit vermitteln, ohne Fachausbildung. Und natürlich noch gratis! Unser Ehrenvorsitzender spricht gern vom Verein als Reparaturbetrieb der Gesellschaft. Was Schule und Elternhäuser nicht hinkriegen, sollen wir leisten.
Wir retten Reiseunternehmen und Banken mit zig Milliarden, investieren in unsere Jugend aber nur das Nötigste. Das kann nicht ernsthaft unser Entwurf von Zukunftsfähigkeit sein! Unsere Trainerinnen und Trainer haben eine ganz besondere Beziehung zu ihren Spielerinnen und Spielern. Aber sie sind keine eierlegenden Wollmilchsäue. Wir hätten im Verein schon ausgebildete Sozialpädagogen, wir haben auch geeignete Partner wie die RheinFlanke oder diverse Schulen. Doch wir können neben der schon ehrenamtlich geleisteten sportlichen Ausbildung nicht auch noch Job-Coaching oder die Bewältigung von Problemen in Schule und Elternhaus kostenlos übernehmen. Die Trainer pfeifen doch so schon auf dem letzten Loch. In einem guten Matching aus Sport, Wirtschaft und geeigneten Fachleuten könnten wir ganz viele junge Leute fit für die Zukunft machen. Diese Möglichkeiten werden komischerweise noch gar nicht richtig diskutiert.
Warum bist du der Meinung, dass Sportvereine der richtige Ort sind, um „Soft Skills“ zu vermitteln?
Soft Skills sind auf dem Fußballplatz Alltag, damit es funktioniert. Es geht stetig um das Erlernen und die Verbesserung von Sozialkompetenz, im Besonderen um Teamorientierung, Kommunikationsfähigkeit, Durchsetzungsvermögen, Flexibilität, Organisation, aber auch Mut und Umgang mit Niederlagen. Alles Dinge, die beim Fußball und in anderen Sportarten unabdingbar für den Erfolg sind. Wie übrigens auch der Umgang mit Erfolgen. Wir könnten noch Ehrgeiz, Frustrationstoleranz, Kreativität, Agilität, Zuverlässigkeit und mehr dazu nehmen. Ein Arbeitsmarktexperte und früherer Schiedsrichter fragte mich mal: „Warum schaffen es die Jungs, pünktlich zum Spiel, aber nicht zur Arbeit zu erscheinen?“ Das dürfte etwas mit Prioritäten zu tun haben, auch wenn das komisch klingt. Vielleicht können ja auch die Arbeitgeber vom Sport lernen.

Beim Sport werden wichtige Werte vermittelt
Was genau hätten denn Vereine von der Idee, wenn ein Sozialarbeiter auf dem Übungsplatz beziehungsweise in der Trainingshalle stünde?
Die Vereinsbindung der Spielerinnen und Spieler würde steigen. Wenn die Jugendlichen einen Mehrwert erkennen, ist das gut für das Team und den Club. Und wenn wir es schaffen, junge Menschen „in die Spur zu kriegen“, eröffnet das Möglichkeiten für Partnerschaften, die wiederum dem Verein helfen. Nehmen wir mal ein großes Energieunternehmen vor unserer Haustür. Wenn wir es schaffen, diesem pro Jahr zwei oder drei zuverlässige Azubis zu vermitteln, entsteht ein großes Interesse daran, den Verein weiterzuentwickeln. Zudem können wir ja auch noch andere Themen vermitteln, z. B. eine nachhaltige Lebensweise, was ja inzwischen bei allen Unternehmen weit oben auf der Tagesordnung steht.
Ich würde aber noch weiter gehen. Unternehmen könnten z. B. von uns lernen, dass es einem 18-jährigen Spieler oder einer 22-jährigen Spielerin wichtig ist, dass sie ihrem Sport nachgehen können. Wenn wir es schaffen, dem Unternehmen klarzumachen, dass Dienstag und Donnerstag keine Überstunden anfallen sollten, weil da Training und am Samstag vielleicht auch mal ein Spiel ist, wird die Bereitschaft an anderen Tagen steigen. Wir müssen Win-Win-Situationen schaffen, Flexibilität in der Arbeitswelt ist keine Einbahnstraße.
Nun seid ihr ja ein großer Verein und habt eine „kritische Masse“ an jungen Menschen. Wie könnten denn kleinere Vereine in den Genuss eines den Trainer unterstützenden Sozialarbeiters kommen?
Warum sollen sich nicht mehrere kleinere Vereine zusammentun? Man muss sich den Einzelfall ansehen, aber man sollte nie sagen: Das geht hier nicht. Vereine wie Unternehmen müssen die Potenziale sehen, nicht die möglichen Probleme. Diese gilt es als Herausforderung zu sehen und zu lösen. Wer sich Neuerungen verweigert, wird zurückfallen.
Hast du eine Idee, wie sich die Idee mit den Sozialarbeitern im Verein finanzieren ließe?
Die staatlichen Stellen sollten ein Interesse daran haben, aber ganz ehrlich: Meine Erfahrungen sind nicht so, dass ich wirklich daran glaube. Meine Idealvorstellung ist ganz altmodisch. Unternehmensgewinne werden wie vorgesehen versteuert, der Staat organisiert davon die notwendigen Maßnahmen. Daran glaubst du nicht? Ich auch nicht. Wer wie ich einige Projekte mit staatlichen Stellen, also deren Abwicklung und Abrechnung erlebt hat, tut sich das kaum freiwillig an. Vereinzelte positive Ausnahmen bestätigen die Regel, aber hier muss sich vieles ändern.
Also bin ich inzwischen der Meinung, wir müssen den direkten Weg zu den Unternehmen wählen. Die dürften daran ein Interesse haben, entsprechende Stiftungen natürlich auch. Sponsoring und CSR geben in Amateurvereinen wenig Sinn, indem man den Firmennamen auf die Trikotbrust schreibt. Was bei uns eh schwierig ist, denn da steht ja schon der Slogan NO RACISM. Aus meiner langjährigen PR- und Marketingerfahrung weiß ich: Es gilt vielmehr darum, die emotionale Nähe herzustellen, den Vereinsmitgliedern zu vermitteln: „Wir ziehen an einem Strang, wir wollen Teil eurer Idee sein.“
Aber das entbindet uns nicht davon, über die deutsche Förderlogik zu diskutieren. Die ist längst nicht mehr zeitgemäß. Ich habe dazu mit meiner RheinFlanke-Kollegin Franziska Silbermann einiges im Deutschlandradio erläutert. Die Überschrift sagt alles: „Das Potenzial versiegt an den Fördertöpfen“
Ich finde ja sowieso, dass wir in Deutschland zu wenig in den Diskurs gehen. Wer etwas in Frage stellt, wird gleich in die Ecke der Nörgler gestellt. Das ist falsch. Vielen sind Diskussionen zu anstrengend. Was glauben die denn, wie Impfstoffe oder geniale Werbekampagnen entstehen? Per Fingerschnipp bestimmt nicht. Wir waren mal das Volk der Dichter und Denker. Gerade Letzteres dürfen wir doch nicht ein paar undemokratischen Märchenerzählern und selbst ernannten Querdenkern überlassen. Bis vor zwei Jahren war der Begriff durchaus positiv und nicht rechtsextremistisch konnotiert. Wenn wir nicht endlich anfangen, gemeinsam nach Lösungsansätzen und neuen Allianzen zu suchen, z. B. mit Runden Tischen, werden wir weiter an Boden verlieren. Wäre übrigens auch ein wichtiger Hinweis für große Sportverbände, merke ich gerade.
Lieber Gerd: Vielen Dank für deine Zeit und die Denkanstöße.